FAQ: Populationsdynamik
2.4 Populationsdynamik
2.4.1 Was ist die häufigste Todesursache von Rotfüchsen?
Jäger zieht Füchsen das Fell
über die Ohren (Foto: Kottke)
Dort, wo Füchse – wie in den größten Teilen Europas, Asiens und Nordamerikas – von Menschen verfolgt werden, gehen
Studien zufolge 56% bis über 80% der Todesfälle auf das Konto von Jägern oder Fallenstellern. Der englische Biologe
David Macdonald hat in seiner Fuchsmonographie "Unter Füchsen" (engl. Running with the Fox) die Ergebnisse einiger
derartiger Untersuchungen zusammengetragen: Wo Kopfprämien für Füchse gezahlt werden, ist das Gemetzel erwartungsgemäß
besonders schlimm. In Zentral-Iowa sterben 84% der Füchse in ihrem ersten Lebensjahr, in Ontario sind 80% der getöteten Füchse
Jungtiere. Untersuchungen in Deutschland haben ergeben, dass 56% bis 75% der Füchse durch die Jagd zu Tode kommen (siehe
dazu Felix Labhardts Buch "Der Rotfuchs").
Eine andere gravierende Todesursache für Füchse ist dort, wo sie grassiert, die Tollwut, und auch dem Straßenverkehr
fallen viele Füchse – darunter vor allem unerfahrene Jungtiere – zum Opfer. Natürliche Feinde (z.B. Wolf, Kojote,
Steinadler, Luchs) spielen dagegen eine untergeordnete, je nach Region mitunter sogar überhaupt keine Rolle.
Literatur:
Labhardt, F. (1990): Der Rotfuchs. Paul Parey, Hamburg/Berlin.
Macdonald, D. (1993): Unter Füchsen. Eine Verhaltensstudie. Knesebeck, München.
2.4.2 Können Füchse überhand nehmen/gibt es „zu viele“ Füchse?
Von Menschen, die ein Interesse daran haben, Füchse zu töten – ob aus Spaß oder Jagdleidenschaft, wegen des Pelzes oder weil
sie in Füchsen lästige Beutekonkurrenten sehen – wird oft behauptet, es gäbe „zu viele“ Füchse, oder Füchse würden
„überhand nehmen“, wenn man ihnen nicht mehr mit Flinte und Falle nachstellen würde.
Ob es „zu viele“ Füchse gibt, liegt letzten Endes im Auge des Betrachters. Für Menschen, die möglichst jeden
zu Jagdzwecken ausgesetzten Fasan anschließend auch wieder abschießen wollen, ist jeder Fuchs einer zu viel –
„wer Füchse sieht, hat zu viele davon“, titelte daher eine große deutsche Jagdzeitschrift vor einigen Jahren. Wer
dagegen an einer friedlichen Koexistenz mit Füchsen interessiert ist, sich vielleicht sogar an ihrem Anblick und
ihrer Beobachtung erfreut, oder ihre Dienste bei der Bekämpfung von Wildtierkrankheiten und der Vertilgung
landwirtschaftlicher „Schädlinge“ schätzt, wird praktisch niemals zu viele Füchse vorfinden.
Auf einer Treibjagd getötete Füchse
(Bild: Rosi Stevens)
Füchse stehen am oberen Ende der Nahrungskette. Ihre Bestände wurden und werden nicht durch eventuelle Freßfeinde
bestimmt, sondern über das zur Verfügung stehende Nahrungsangebot sowie ein komplexes Sozialsystem reguliert, durch
das stabile Bestände mit einem Minimum an individuellem Streß etabliert werden. Verfolgt man Füchse nicht, ist also
die Sterberate gering, leben Füchse in Familienverbänden aus einem Rüden und mehreren Füchsinnen zusammen, von denen
sich aber – ähnlich wie bei Wolfsrudeln – nur die dominante fortpflanzt. Die anderen Füchsinnen haben lediglich eine
Helferfunktion bei der Aufzucht und beim Beschützen der Jungen inne. Infolgedessen beschränkt dieses System
automatisch die Geburtenrate und hält die Fuchspopulation auf einem konstanten Niveau, da nur ein kleiner Teil der
Fähen schwanger wird. „Geburtenbeschränkung statt Massenelend“, kommentierte der Biologe Erik Zimen dieses Phänomen.
Nichtsdestoweniger gibt es heutzutage sicherlich mehr Füchse in Mitteleuropa als noch vor fünfzig oder hundert Jahren;
insbesondere in städtischen Regionen hat die Fuchsdichte zugenommen. Zurückzuführen ist dies nicht zuletzt auf das
gute Nahrungsangebot, das Reineke in der Nähe menschlicher Siedlungen mit ihren Wohlstandsabfällen vorfindet, und
durch das dieselbe Fläche mehr Füchse ernähren kann, als es in reinen Wald- oder Feldrevieren der Fall ist. Nach einer
kontinuierlichen Zunahme der Fuchspopulation zwischen Anfang der 1990er Jahre und dem Beginn des neuen Jahrtausends
scheint die Fuchsdichte inzwischen jedoch auf einem konstanten Niveau zu verharren. Studien zeigen in der Tat, dass sich
- bedingt durch die erwähnte soziale Dichtekontrolle der Fuchspopulationen - eine solche Stabilisierung der Fuchsdichte
weit unterhalb jenes Niveaus einstellt, das durch das oft reichhaltige Nahrungsangebot eigentlich möglich wäre.
Literatur:
Baker, P., Harris, S. & White, P. (2006): After the hunt: The future for foxes in Britain. Report, University of Bristol/University of York.
Bellebaum, J. (2003). Bestandsentwicklung des Fuchses in Ostdeutschland vor und nach der Tollwutimpfung. Zeitschrift für Jagdwissenschaften, 49.
Macdonald, D. (1993): Unter Füchsen. Eine Verhaltensstudie. Knesebeck, München.
Baker, P. & Harris, S. (1997). How will a ban on hunting affect the British fox population? Report of the School of Biological Sciences, University of Bristol. Cheddar, Somerset: Electra.
Harris, S. & Smith, G.C. (1987). Demography of two urban fox (Vulpes vulpes) populations. Journal of applied Ecology, 24.
2.4.3 Ist es möglich, Fuchspopulationen mit Gewehr und Falle zu reduzieren?
Tote Füchse nach einer großanlegten
Fuchsjagd bei Messkirch
(Foto: S. und B. Pelli)
Dieselben Füchse, zum Abtransport
in einen Anhänger geworfen
(Foto: S. und B. Pelli)
Dies wurde vielerorts bereits versucht – insbesondere in Mitteleuropa in den sechziger und siebziger Jahren, wo die
Landwirtschaftsminister zur Tollwutbekämpfung den „Gastod aller erreichbaren Füchse“ anordneten. Mit Flinten, Fallen,
Hunden und Giftgas rückte man damals dem armen Reineke zu Leibe, betrieb die Massenvernichtung von Welpen am Bau, und
befördete bei dieser Gelegenheit nebenbei durch blindwütigen Baubegasungs-Aktionismus den Dachs auf die Liste
bedrohter Tierarten.
Allerdings ließen sich weder die Tollwut noch die Fuchspopulationen von dieser gnadenlosen Hatz nennenswert beeindrucken –
die Fuchsdichte konnte nicht nennenswert gesenkt werden, und die Tollwut breitete sich eher noch schneller aus als zuvor.
Grund dafür ist, dass die in
2.4.2, Können Füchse überhand nehmen?
beschriebenen Familienverbände, die einen stabilen Bestand und eine niedrige Geburtenrate zur Folge haben, in stark
verfolgten Fuchspopulationen durch das permanente Chaos, den hohen individuellen Streß und die große Sterbewahrscheinlichkeit
auseinanderbrechen. Fuchs und Füchsin finden sich in der Paarungszeit eher zufällig, die Bindungen sind von eher kurzer
Dauer, und der Fuchsrüde zieht meist nach der Paarung weiter, um bei der nächsten Fähe sein Glück zu versuchen. Auf
einmal werden nahezu alle Fähen schwanger; die Geburtenrate steigt drastisch. Außerdem zeigen Untersuchungen, dass bei
stark bejagten Fuchspopulationen die mittlere Wurfgröße deutlich höher liegt als bei Füchsen in jagdfreien Gebieten.
Kurz gesagt: Selbst mit drastischen Maßnahmen kann man Fuchspopulationen nicht „reduzieren“ – und es ist auch gar
nicht erforderlich, denn die Dichteregulation übernimmt das füchsisiche Sozialsystem weit effektiver, als wir es
jemals könnten. Fuchsjagd kurbelt lediglich die „Produktion“ von Nachwuchs an und dient damit allenfalls jenen
Menschen, die Freude am Töten von Füchsen haben oder damit Geld verdienen, ihnen das Fell über die Ohren zu ziehen.
Literatur:
Baker, P. & Harris, S. (2006): Does culling reduce fox (Vulpes vulpes) density in commercial forests in Wales, UK? European Journal of Wildlife Research, 53 (2).
Kaphegyi, T. (2002): Untersuchungen zum Sozialverhalten des Rotfuchses (Vulpes vulpes L.), Dissertation, Forstwissenschaftliche Fakultät der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg i. Brsg, Freiburg im Breisgau
Baker, P. & Harris, S. (1997). How will a ban on hunting affect the British fox population? Report of the School of Biological Sciences, University of Bristol. Cheddar, Somerset: Electra.
Kaphegyi, T. (1998): Fuchsreduktion zum Schutz gefährdeter Waldhühnerpopulationen im Schwarzwald: Eine sinnvolle Managementmaßnahme? Berichte Freiburger Forstl. Forschung, 2.
2.4.4 Was für Auswirkungen haben hohe Verluste auf das Leben von Füchsen?
Studien zeigen, dass Füchse in Jagdgebieten weitaus weniger Zeit damit verbringen, mit ihren Jungen zu spielen. Dafür
konzentrieren sie sich stärker darauf, Wache zu halten. In stark bejagten bzw. von Seuchen heimgesuchten
Fuchspopulationen sind die interindividuellen Bindungen weniger intensiv und kürzer, Lebenserwartung und Durchschnittsalter der
Tiere naheliegenderweise niedriger, die Stabilität von Familiengemeinschaften geringer. Zudem finden wesentlich
häufiger aggressive Auseinandersetzungen um Reviere und Reviergrenzen statt.
Füchse, die unter hohem Jagddruck zu leiden haben, sind sehr viel scheuer. Während es an Orten, an denen Füchse
schon seit Generationen verfolgt werden, schwer ist, sie zu beobachten, stören sich Füchse in jagdfreien Reservaten
- oder auch in Städten, in denen sie allgemein weitaus weniger von Menschen zu befürchten haben als in ländlichen
Gegenden - kaum an der Gegenwart von Menschen.
Der Biologe Darius Weber, der zahlreiche Studien zum Einfluss der Jagd auf das Verhalten von Wildtieren
durchgeführt hat, stellte zudem fest, dass Füchse dort, wo sie intensiv mit Hunden im Bau verfolgt
werden, deutlich seltener im Bau anzutreffen sind.
Literatur:
Goretzki,J., Tottewitz,F. & Sparing,H. (2003): Bemerkenswerte Ergebnisse der Wildmarkierung. BFH-Nachrichten, 4
Labhardt, F. (1990): Der Rotfuchs. Paul Parey, Hamburg/Berlin.
Weber, D. (1988): Wie und wann Füchse ihre Baue benutzen. Deutsche Jagd Zeitung, 12.